“Macht Frieden – in Syrien und Nah-Ost”

Karin Leukefeld

Unvollständige Mitschrift von Walther Moser (red. Bearb.: Karl-W. Koch)

am 25.11.2018 bei https://gruene-linke.ralf-henze.de/2018/10/23/2-friedenskongress-2018/

Seit 2010 bin ich (Karin Leukefeld) in Syrien akkreditiert. Die Politik hat sich in den Medien positioniert: „Assad unterdrückt sein Volk und foltert. Er muss weg.“  Vor dem Krieg gab es vielerorts  in Syrien eine Zusammenarbeit mit Deutschland – z.B. an der Deutsch-Syrischen Al Wadi Universität nahe Homs.

Der Arabische Frühling eskalierte. Immer mehr internationale Akteure mit Militär und Geheimdiensten agierten dort. Der innenpolitische Konflikt in Syrien wurde regional, dann international. Heute brauchen wir den umgekehrten Weg: erst muss der Konflikt international, dann regional gelöst werden. Erst dann wird es möglich sein, innenpolitische Probleme in Syrien von den Syrern selbst zu lösen.

Die Region ist regional und international wegen ihrer Ressourcen wichtig. Gasvorkommen vor der Küste sind z.T. noch unerforscht, die Öl- und Gasvorkommen im Osten des Landes sicherten bescheidenen Wohlstand. Syrien ist für Europa das Tor nach Asien, für Asien das Tor nach Europa. Als Transitland ist Syrien geostrategisch von Bedeutung, dadurch kommen weitere Probleme hinzu.

Wasser ist wichtig. Die Türkei baute in den 1980er Jahren mit dem Süd-Ost-Anatolien-Staudammprojekt (GAP)  viele Staudämme entlang des Euphrat, der aus der Türkei durch Syrien in den Irak fließt. Damit kontrollierte die Türkei die Wasserdurchlaufmenge Richtung Süden. Für das Agrarland Syrien ist der Euphrat der wichtigste Wasserspender. Auch die Küstenregion entlang der Levante (östliches Mittelmeer)  ist sehr wasserreich. Die syrischen Golanhöhen, ein wasserreiches  Gebiet mit fruchtbarem Boden, wurde 1967 von Israel besetzt und 1981 annektiert. Israel brauchte und braucht das Wasser. In Zeiten von Bevölkerungswachstum, zunehmender Industrialisierung und Klimawandel ist Wasser in der Region zu einer Waffe geworden. Eine Siebenjährige Dürre Anfang der 2000er Jahre führte zu Landflucht in Syrien. Die Menschen besiedelten unbebaute Gebiete um die großen Städte. In Syrien gilt, “wenn du ein Dach über dem Kopf hast, kannst du nicht weggeschickt werden“. Das ermöglichte den Neuankömmlingen eine Unterkunft rund um die Städte.  Doch Arbeit fand sich kaum, es entstand ein informeller Sektor am unteren Einkommensrand.

In Syrien gibt es viele Öl- und Gas-Pipelines. Syrien ist Transitland. Katar plante die Erneuerung und Ausweitung der so genannten TAP-Line, der Transarabischen Pipeline aus dem Jahr 1938. Diese führte von den Golfstaaten ans Mittelmeer. Katar, weltweit größer Produzent von Flüssiggas wollte die Pipeline nutzen, um sein Flüssiggas schnell und kostensparender durch Syrien, Türkei nach Europa zu liefern. Der Iran hatte ähnliche Planungen und bekam von Syrien den Zuschlag.

Syrien selbst hat bislang wenig Öl-und Gasvorkommen. In Syrien verwendet man Gas zum Kochen. Die Möglichkeiten, Öl in Syrien aufzuarbeiten, um es für den Endverbraucher nutzbar zu machen, sind gering. Deshalb wurde Rohöl exportiert und kam als raffiniertes Öl aus Europa zurück. In den Zeiten der Hoheit des IS über die syrischen Ölquellen im Osten des Landes musste die Regierung Assad sogar eigenes Öl, u.a. mittels eines syrischen Kaufmanns ankaufen. Ein Gasfeld vor der Küste teilt sich Syrien mit den Anrainerstaaten (Syrien, Israel, Palästina/Gaza, Libanon, Zypern). Immer läuft der Transport von Ost nach West (Europa). Europa, auch Deutschland, vertritt hierbei eigene Interesse.

Ein anderer Aspekt: Die neue Seidenstraße. China  will auf dem Land- und See-Weg Waren transportieren und baut deshalb um die arabische Halbinsel Häfen aus.  Da Katar nicht den Zuschlag für die Pipeline durch Syrien bekam, hat es Waffen an die Rebellengruppe geliefert in Absprache mit der CIA, um Assad zu stürzen und um die Muslimbruderschaft zu unterstützen. Die Muslimbruderschaft ist in Syrien verboten. Seit der Unabhängigkeit Syriens (1946) und auch im Arabischen Frühling ging es auch in Syrien um die Frage: Wollen wir einen säkularen Staat (hier mit Assad) oder einen religiösen Staat, basierend auf der Scharia? Die Türkei und Katar sind mit der Muslimbruderschaft eng verbunden. Frankreich war einer der größten Waffenlieferanten, auch Deutschland hat geliefert. Auch aus Osteuropa kamen Waffenlieferungen nach Saudi-Arabien und Amman. Es gab riesige Mengen bulgarischer Waffen. Die Wege der Waffenlieferungen wurden einerseits von Journalisten (NYT, Recherchenetzwerk Balkan) andererseits vom einem englischen Institut (CAR, Conflict Armament Research, http://www.conflictarm.com/) erforscht.

Syrien ist heute de facto geteilt.  Östlich des Euphrat unter Kontrolle der syrischen Kurden, die von der US-geführten internationalen Anti-IS-Allianz unterstützt werden (Partner am Boden) mit US-Militärbasen. Diese Militärbasen sind völkerrechtswidrig, da weder eine Resolution des UN-Sicherheitsrates vorliegt noch eine Einladung der syrischen Regierung. Ziel der USA ist,  (zum Schutz Israels) den Iran zurückzudrängen.

Russisches Militär ist auf zwei Basen (Hmeimin, Tartus) und  auf syrischen Militärbasen stationiert. Russland wurde von Assad offiziell um Hilfe gebeten, das entspricht dem Völkerrecht. Daher hat Russland – im Gegensatz zu den US-Amerikanern – ein Mandat für militärische Präsenz und Einsätze in Syrien.

Israel wollte eine Pufferzone östlich der israelisch besetzten und annektierten Golan-Höhen in den Provinzen Deraa und Qunaitra durchsetzen. Diese beiden Provinzen wurden von Syrien wieder freigekämpft. Die UN-Blauhelmmission (UNDOF), die von den Kampfgruppen vertrieben wurde, ist nun wieder in einer Pufferzone zwischen Syrien und dem von Israel besetzten Golan präsent.

Die Türkei, Iran und Russland haben als Astana-Gruppe eine Deeskalationszone in der syrischen Provinz Idlib ausgerufen, sie ist von einem entmilitarisierten Gürtel umgeben, in dem sich türkische, russische und iranische Militärposten befinden.

Die Türkei beansprucht in Idlib, Afrin und nördlich von Aleppo (Azaz, Jarabulus, Al Bab) die Kontrolle, um diese Gebiete “den ursprünglichen Bewohnern zurückzugeben“. Nach türkischer Interpretation sind das Turkmenen. Offensichtlich plant Ankara dort einen Anschluss an die Türkei oder eine von der Türkei kontrollierte Zone für die bewaffneten (islamischen) Gruppen einzurichten. In Idlib gibt es noch bis zu 100.000 bewaffnete Männer, die stärkste Kraft ist der Nachfolger der Nusra Front (Al Qaida), Hayat Tahrir al Scham (Bündnis zur Eroberung von Syrien). Im Osten Syriens gibt es noch bis zu 10.000 verstreute IS-Kämpfer. Ein weiteres Kriegsziel der Türkei die Verhinderung eines Kurdenstaates in Nordsyrien, nach Möglichkeit sogar die Verhinderung von kurdischer Teilautonomie. Außerdem will die Türkei Zugriff auf die syrischen Öl-Quellen im Osten.

Die Regierung von Syrien hat große Teile des Landes wieder unter staatlicher Kontrolle. Aber das wollen USA und Westen nicht. Sie wollen eine Teilung Syriens: hier  Kontrolle durch Kurden – dort Opposition und Türkei – der Rest unter syrischer Kontrolle und eine “international-kontrollierte Verwaltung” entlang des Euphrat-Tals (Vorschlag der RAND-Corporation, https://www.rand.org).

Es gibt eine andere Entwicklung: Die Astana-Gespräche mit Russland, dazu die Sotschi-Gespräche: die Verfassung soll überarbeitet und ergänzt werden. Russland und der Iran wollen keine Aufteilung Syriens. Die “Kleine Syriengruppe“, ehem. „Freunde Syriens”(USA, Großbritannien, Frankreich, Deutschland, Jordanien, Saudi-Arabien, Ägypten)  wollen Russland zum Einlenken bringen. Deutschland soll die Türkei aus dem Einfluss von Russland zurückholen. Es soll dabei auch zu einem Interessenabgleich wegen des Ukraine-Konfliktes kommen. Nur wenn zwischen der Astana-Gruppe und der Kleinen Syriengruppe eine Annäherung stattfindet, werden die Genfer Gespräche sinnvoll werden. Die USA will  der Astana-Gruppe den „Strom abdrehen“ (https://thearabweekly.com/us-wants-pull-plug-syrias-astana-talks) .

Viele Flüchtlinge kehren aus dem Libanon, der Türkei und Jordanien nach Syrien zurück.  In der FAZ war ein entsprechendes Bild mit einer Autokolonne, aber mit einem falschen Untertext. Angeblich sollte es die anhaltende Fluchtbewegung aus Syrien heraus dokumentieren, zeigte aber einen Stau des Rückreiseverkehrs IN Richtung Syrien an der libanesischen Grenze. (https://www.rubikon.news/artikel/die-bild-lugner)

Fragen nach 1 Stunde Vortrag.

Wer steht hinter Assad?  Seine Popularität wurde wieder größer. Viele hassten  ihn. Viele Oppositionelle sagen: Er hat gewonnen – nun muss er das Land wieder auf die Beine bringen. Viele Leute lieben und schätzen ihn; sie hatten ein Problem mit dem Regime, nicht mit Assad. Manche Menschen wollen, dass  die Religion wieder mehr Einfluss bekommt. Der Großmufti ist fortschrittlich und liberal. Assad ist für viele der Garant für Liberalität und Säkularität.

Die Vereinbarung zu Idlib? Sie ist nur rudimentär eingehalten worden. Schwere Waffen wurden auf Drängen der Türkei nicht abgezogen. Wohin sollten die Kämpfer aus aller Welt, z.B. 3.000 Uiguren, Tunesier? Die Herkunftsländer müssten sie zurücknehmen. Aber Frankreich will das nicht. Europa war gegen eine Offensive auf Idlib, weil man befürchtete, die Kämpfer würden nach Europa flüchten. Russland und Syrien favorisieren eine militärische Liquidierung der islamistischen Kämpfer um Idlib. Diese haben dort allerdings auch viele Familienangehörige. Nach UN-Angaben leben in Idlib heute rund 2,5 Millionen Menschen, darunter mehr als 1 Mio Inlandsvertriebene.

Was ist mit Versöhnungskomitees? Es gibt ein Ministerium dafür, das jetzt in eine Kommission umgewandelt wurde. Es macht eine gute Arbeit, wird organisiert von der Syrischen Sozialen Nationalistischen Partei (SSNP), die neben der Baath-Partei, die größte säkulare Partei ist. Versöhnungskomitees waren und sind in Dörfern, Orten, Stadtvierteln, Städten seit Anfang des Konflikts (2011) aktiv und besetzt mit Lehrern, Ärzten, angesehenen Leute. Ausländische Kämpfer waren gegen Assad – die örtlichen Rebellen waren eher für Waffenstillstände. Die Russen griffen das Sich-Versöhnen 2015  auf und verstärkten es durch das „Russische Zentrum für die Versöhnung der verfeindeten Seiten in Syrien“. Die syrischen Oppositionellen und Kampfgruppen lehnen die Versöhnung ab und bezeichnen es als ein „Sich-Aufgeben“, als Unterwerfung.

Neuwahlen? Die nächste Präsidentenwahl ist 2022, alle 7 Jahre. Die UNO strebt eine Wahl unter internationaler Beobachtung an. Das wäre eine Möglichkeit für die Opposition sich politisch aufzustellen und eigene Kandidaten zu benennen..

Rolle der Türkei? Sie unterstützte die islamisch orientierte Opposition der Muslim Bruderschaft (seit 1982 in Syrien bei Todesstrafe verboten) sowie Turkmenen. Die türkische Regierungspartei AKP, der auch Präsident Erdogan angehört, ist eine Partei der (sunnitisch-muslimischen) Muslimbruderschaft und verbindet sich mit deren syrischem Ableger. Es stellt sich die Frage: Wieso unterstützt Europa die Muslimbruderschaft? Die Kurden sind zu 95% säkular. Bezüglich der Kurden gibt es unterschiedliche Meinungen. Die Türkei will die PKK auslöschen. Die USA sind kein Freund der Kurden, aber sie benutzen sie, um in Syrien eine Teilung durchzusetzen und so den Einfluss des Iran und Syriens zu schwächen. Die Türkei will Siege in Syrien. Sie will sich dort Land aneignen und besetzen, wie Israel in den besetzten palästinensischen Gebieten. Es gibt einen ausgesprochenen Landhunger. Die Türkei stellte IS-Kämpfern Krankenhäuser zur Verfügung. Die Türkei hat als NATO-Mitglied eine unklare Rolle, wie sie handelt. Nicht alles was geschieht ist für mich (Karin Leukefeld) transparent.

Wie ist es mit der Ernte dieses Jahr? Es sieht nicht gut aus. Man bekommt überall Obst und Gemüse, aber es ist teurer, weil der Vertrieb nicht so gut wie früher funktioniert. Es gibt auch Wassermangel, aber zuletzt hat es viel geregnet. Ein Problem in den nordwestlichen Gebieten von Aleppo: Die Türkei und mit ihr verbündete Kämpfer hackten dort Olivenbäume ab, so dass vielerorts die Existenzgrundlage der ländlichen Bevölkerung  vernichtet ist.

Konnte der Rote Halbmond arbeiten? Er tat und tut das Front-übergreifend. Die Türkei hat die Arbeit vom IKRK in den von der Türkei kontrollierten Gebieten verboten, stattdessen ist der türkische Halbmond in Idlib aktiv. Ohne die Genehmigung der syrischen Regierung eine Verletzung des humanitären Völkerrechts.

Wie wirken Sanktionen? Es wurden von der EU bereits 2011 Sanktionen verhängt, die USA haben Finanzsanktionen gegen Syrien verhängt. Die Sanktionen treffen seit 2011 jeden Syrer: den medizinische Sektor, den Baubereich, elektronische Produkte. Auf Gehhilfen, Krücken, hatte eine Werkstatt wegen der vielen Instanzen, die das genehmigen müssen, ein Jahr lang warten müssen. Dann fingen die Syrer an, das Nötigste selbst herzustellen. Es wird aus Russland, Iran, China importiert. UN-Organisationen haben wiederholt die Sanktionen kritisiert und deren Überprüfung bzw. Aufhebung gefordert. (https://www.zeit-fragen.ch/de/ausgaben/2018/nr-13-5-juni-2018/un-experte-einseitige-zwangsmassnahmen-verschaerfen-humanitaere-krise-in-syrien.html)

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