Fakten und Hintergründe zur Verhaftung und möglichen Auslieferung von Puigdemont

Puigdemont acompanyat de càrrecs electes de CiU (7589801136)

Die aktuelle Diskussion zeigt, wie hochkomplex das Thema ist, ein einfaches – wie hier von einzelnen angedeutet “richtig” oder “falsch” gibt es (leider!) nicht. Wobei vordergründig nicht einmal um die Frage „Unabhängigkeit für Katalonien“ diskutiert wird. Ob Katalonien das Recht auf Unabhängigkeit hat oder Spanien das Recht auf den uneingeschränkten Erhalt des gesamten Staates müssen Katalonien und Spanien in den rechtlich vorgegebenen Rahmen nationalen und internationalen Rechtes untereinander klären. Die Vorgabe „von oben“ gegen jegliche Abspaltung kann nach internationalem Recht dabei allerdings nicht das letzte Wort sein. Auf der anderen Seite müssen die Befürworter der Unabhängigkeit stärkere Argumente als einen zu großen Finanztransfer in Richtung Madrid vorweisen. Am einfachsten (und klügsten) wäre vermutlich ein Kompromiss, welcher die Teilautonomie neu ordnet.

Ist der Wunsch nach Unabhängigkeit begründet?

Da wäre heute geltendes Völkerrecht besagt: “Das Selbstbestimmungsrecht der Völker ist eines der Grundaxiome der Charta der Vereinten Nationen. Es wird in den Artikeln 1, 2 und 55 erwähnt und als eine Grundlage der Beziehungen zwischen den Staaten bezeichnet.

Eine bindende Verpflichtung der Vertragsstaaten zur Einhaltung des Rechts auf Selbstbestimmung geht aus den beiden Menschenrechtspakten der Vereinten Nationen hervor, die 1966 von der UN-Generalversammlung angenommen wurden und nach Erreichen der nötigen Anzahl an Ratifizierungen 1977 in Kraft traten. Der Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte (IPbpR) sowie der Internationale Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (IPwskR) gleichen Datums erklären das Selbstbestimmungsrecht für die Vertragsstaaten als verbindlich. In beiden Pakten heißt es gleichlautend in Artikel I:

„(1) Alle Völker haben das Recht auf Selbstbestimmung. Kraft dieses Rechts entscheiden sie frei über ihren politischen Status und gestalten in Freiheit ihre wirtschaftliche, soziale und kulturelle Entwicklung.“

„(2) Alle Völker können für ihre eigenen Zwecke frei über ihre natürlichen Reichtümer und Mittel verfügen, unbeschadet aller Verpflichtungen, die aus der internationalen wirtschaftlichen Zusammenarbeit auf der Grundlage des gegenseitigem Wohles sowie aus dem Völkerrecht erwachsen. In keinem Fall darf ein Volk seiner eigenen Existenzmittel beraubt werden.“

„(3) Die Vertragsstaaten, einschließlich der Staaten, die für die Verwaltung von Gebieten ohne Selbstregierung und von Treuhandgebieten verantwortlich sind, haben entsprechend der Charta der Vereinten Nationen die Verwirklichung des Rechts auf Selbstbestimmung zu fördern und dieses Recht zu achten.“

Für die Überwachung der Einhaltung dieser Vertragspflicht sind der UN-Menschenrechtsausschuss und der UN-Ausschuss für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte verantwortlich. Der konkrete Gehalt dieser Rechtsnorm ist in einem General Comment des Menschenrechtsausschusses aus dem Jahre 1984 formuliert.[5]
Das Selbstbestimmungsrecht der Völker ist ius cogens (vgl. die Kodifikation in Art. 53 Wiener Vertragsrechtskonvention (WVRK)).[6] Es handelt sich mithin um eine Norm, von der nicht abgewichen werden darf, und die nur durch eine spätere Norm des allgemeinen Völkerrechts geändert werden könnte. Verträge, die gegen existierendes ius cogens verstoßen, sind nichtig (vgl. die in Art. 53 WVRK kodifizierte Regel).[7]
Das Selbstbestimmungsrecht schafft grundsätzlich gerade keine Individualrechte, sondern bietet zunächst den Rahmen für deren Entfaltung oder jedenfalls die freie Gruppenbildung; ein Recht des Individuums darauf, dass der Gruppe, deren Mitglied es ist, dieses Recht gewährt wird, besteht freilich.”
(Markierungen von mir) 
https://de.wikipedia.org/wiki/Selbstbestimmungsrecht_der_V%C3%B6lker

Gerade die finanzielle “Ausbeutung” Kataloniens durch die spanische Zentralregierung (Verstoß gegen Abs. (2)) wird immer wieder von den Unabhängigkeitsbefürwortern ins Feld geführt. Dem gegenüber steht in der Tat wie mehrfach erwähnt die spanische Verfassung mit dem Bestandschutz des gesamten Staates und die erforderliche Solidarität der reicheren mit den ärmeren Landesteilen.

Die katalanische Unabhängigkeitsbewegung hat allerdings keine Mehrheit der Stimmen in Katalonien im Dezember 2017 – ebenso wie bei den vorletzten Wahlen – bei den Parlamentswahlen erreicht. Nach dem dortigen Wahlrecht werden die Stimmen im ländlichen Raum stärker gewichtet als die der – eher zentral-spanisch-orientierten Großstädter. Allerdings erreichten sie mit 47,5 zu 43,5% eine deutliche Mehrheit, der Großteil der restlichen Stimmen (7,5%) entfiel auf den CatComú-Podem-Block, der sich gegen eine einseitige Unabhängigkeit, aber durchaus für ein – dann auch gültiges – Referendum ausspricht. https://www.fr.de/politik/unabhaengigkeit-kataloniens-manche-reden-von-militaerischer-intervention-a-1364724

Rajoys PP hatte 50% ihres auch vorher nicht grandiosen Stimmenanteils verloren und stürzte auf 4,5% ab. Bei den Unabhängigkeits-Gegnern wurden die als „gemäßigt“ geltende Ciutadans stärkste Partei und legten 7,5% auf 24,3% zu. https://de.wikipedia.org/wiki/Parlamentswahl_in_Katalonien_2017

„Rebellion“ = Hochverrat?

In der aktuellen Diskussion wird behauptet “Der spanische Paragraph der Rebellion hat wohl Gemeinsamkeiten mit dem Hochverrat aus Par. 81 StGB.” Das stimmt, allerdings mit einer gravierenden Einschränkung, der (fehlenden) Anwendung von Gewalt:

§ 81 Hochverrat gegen den Bund
(1) Wer es unternimmt, mit Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt
1.    den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu beeinträchtigen oder
2.    die auf dem Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland beruhende verfassungsmäßige Ordnung zu ändern, wird mit lebenslanger Freiheitsstrafe oder mit Freiheitsstrafe nicht unter zehn Jahren bestraft.

(Markierungen von mir) https://dejure.org/gesetze/StGB/81.html

Gewalt ist aber nicht Puigdemont vorzuwerfen, sondern Rajoy! (s.a.: https://www.welt.de/politik/ausland/article169236865/Pruegelnde-Polizei-Rajoy-entfacht-die-Katalonien-Krise-erst-richtig.html) TAZ: „Die Gewalt ging von den spanischen Polizisten aus, die Madrid zu Tausenden nach Katalonien entsandt hatte. Über 900 Verletzte hinterließen sie, während das Wahlvolk, wenn überhaupt, gewaltfreien Widerstand leistete.https://taz.de/Kommentar-Katalonien/!5493774/  Daher greift dieses Argument nicht, höchstens der finanzielle Vorwurf wäre anwendbar. Dieser dürfte allerdings von Deutschland aus nur schwierig – wenn überhaupt – zu prüfen sein.

EU-Haftbefehl

Der EU-Haftbefehl wurde 2004 eingeführt, er soll europäischen Staaten untereinander die Auslieferung von Verdächtigen vereinfachen. Denn mit dem Wegfallen von Grenzkontrollen konnten sich gesuchte Personen leichter ins Ausland absetzen. Ein europäischer Haftbefehl, der in einem EU-Land ausgestellt wurde, gilt in der gesamten Europäischen Union. Das Vergehen, um das es geht, muss in der Regel in beiden Ländern als Straftat gelten. Für 32 Kategorien schwerer Straftaten (u.a. Terrorismus, Korruption oder Geldwäsche) ist es aber nicht mehr erforderlich, dass eine Tat in beiden Ländern als Straftatbestand eingestuft ist. Es reicht aus, dass die Tat im Land des Haftbefehls mit einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren belegt werden kann.

Doch nichts davon wird Puigdemont vorgeworfen. Der spanische Untersuchungsrichter bezichtigt ihn dreier Straftaten: Rebellion, Haushaltsuntreue und Ungehorsam öffentlicher Amtsträger. Das ersteres nicht greifen wird, ist im vorherigen Abschnitt dargelegt,. Die beiden anderen Gründe rechtfertigen keinen EU-Haftbefehl. Zwar ist Haushaltsuntreue auch in Deutschland strafbar. Aber auch hier ist die politische Stoßrichtung hinter den Anschuldigungen nicht zu übersehen: Die Durchführung einer von der regional zuständigen Legislativen beschlossenen Volksabstimmung ist nur schwer hierunter zu verbuchen.

SZ-Kommentator Wolfgang Janisch: „EU-Staaten dürfen die Auslieferung verweigern, wenn es “objektive Hinweise” auf eine politische Verfolgung gibt – so steht es bereits in den “Erwägungsgründen” des EU-Gesetzgebers zum Haftbefehl. Womit die Ablehnung, Puigdemont nach Spanien zu schicken, ohne juristische Verrenkungen möglich ist. Die schleswig-holsteinischen Juristen müssten nur den Mut dazu haben.https://www.sueddeutsche.de/politik/eu-haftbefehl-deutschland-sollte-puigdemont-nicht-an-spanien-ausliefern-1.3921844

Zum Ablauf: Zuerst entscheidet der Generalstaatsanwalt, ob er einen Auslieferungshaftbefehl beantragt – darüber befindet dann das zuständige Oberlandesgericht. Diese entscheidet über die Bewilligung der Auslieferung. Das kann bis zu 60 Tage dauern, möglicherweise sogar länger. Etwa dann, wenn bei der spanischen Justiz weitere Details zu den Vorwürfen erfragt werden müssen. Revision vor dem Bundesverwaltungsgericht ist möglich, wahrscheinlich auch vor dem EU-Gerichtshof für Menschenrechte. https://www.sueddeutsche.de/politik/eu-haftbefehl-was-den-fall-puigdemont-so-knifflig-macht-1.3921692!amp?__twitter_impression=true

s.a. https://de.wikipedia.org/wiki/Europ%C3%A4ischer_Haftbefehl

 

Bietet Spanien Justiz ein unabhängiges und faires Verfahren?

Puigdemont war der vom katalanischen Volk gewählte Regierungschef Kataloniens und wurde bei den – wohlgemerkt durch Rajoy – angesetzten Neuwahlen bestätigt. Sein politisches Programm war legal und wurde nach dem Gesetz von einer regierungsfähigen Mehrheit akzeptiert. Der zuständige Ermittlungsrichter Pablo Llarena ließ ihn nicht ins Land zurück, um vom katalanischen Parlament erneut ins Amt gewählt zu werden. Puigdemont machte den Weg für Jordi Sànchez frei. Der beliebte Aktivist sitzt seit Oktober in Untersuchungshaft. Llarena gewährte keinen Freigang, obwohl dies in der Vergangenheit sogar einem ins baskische Parlament gewählten, mutmaßlichen Mitglied der bewaffneten baskischen Separatisten gewährt wurde. Selbst die UNO kritisierte Spanien deswegen. https://taz.de/Kommentar-Katalonien/!5493774/

Ein weiteres Argument gegen die Auslieferung: Belgien ist ja – vermutlich unbestritten – ebenfalls ein europäischer Rechtsstaat. Dieser hat nach eingehender Prüfung Puigdemont nicht ausgeliefert! Zudem hat die Vergangenheit gezeigt, dass Mitglieder der “Unabhängigkeitsfraktion” in Spanien kein faires, rechtsstaatliches Verfahren erwarten können. Die überstrapazierten Haftbefehle gegen eine Reihe von Politiker*innen – deren einziges Verfehlung eine “falsche” Abstimmung im Regionalparlament waren sprechen Bände: José Antonio Martín Pallín, ehemaliger Staatsanwalt und Richter an dem Gericht, das nun 25 Politiker der Unabhängigkeitsbewegung anklagt und auch die Auslieferung Puigdemonts beantragt: “Man kann nicht einfach alle Unabhängigkeitsanhänger ins Gefängnis stecken. Das Verfassungsgericht hatte das Problem doch längst gelöst. Es hatte alle Entscheidungen der Separatisten annulliert. Natürlich darf jeder weiterhin sagen, ob er nun Monarchist ist, für die spanische Einheit eintritt oder für die katalanische Unabhängigkeit. Eine Demokratie darf keine politischen Vorstellungen kriminalisieren. … Ein Untersuchungsrichter darf nicht im Rahmen seiner Ermittlungen einem gewählten Volksvertreter verbieten, sein Mandat wahrzunehmen. Es geht da nicht um Katalonien, sondern um demokratische Prinzipien.” Aber Pallin meint auch: “Darauf will ich bestehen: Eine einseitige Unabhängigkeitserklärung ist völlig unmöglich. Irgendwann wird es Gespräche geben können, über eine Abstimmung wie in Kanada über Quebec oder im Falle Schottland. Aber eine einseitige Unabhängigkeitserklärung verletzt auch internationales Recht.” … ist also alles andere als ein Verfechter der Katalonischen Unabhängigkeit. https://www.deutschlandfunk.de/puigdemont-in-haft-wie-unabhaengig-ist-die-spanische-justiz.795.de.html?dram:article_id=413993

Die spanische Zentralregierung unter Rajoy hat (zu!) lange auf Macht und Gewalt als Argument und Lösung des Problems gesetzt, um jetzt noch ohne Gesichtsverlust aus der Nummer raus zu kommen, DAS ist IHRE eigne Schuld. Die Katalanen unter Puigdemont haben dagegen immer wieder die Grenzen ihre Möglichkeiten ausgereizt und dabei auch überzogen. Fehler sind auf beiden Seiten gemacht worden.

 

Deutschland in der Zwickmühle

Uns Deutsche hat die Festnahme in eine schwierige Zwickmühle gebracht, in der wir nur verlieren können: Liefert Deutschland aus, haben wir es mit Katalonien verscherzt, diese Urlaubsregion werden Deutschen in den nächsten Monaten meiden müssen, es kann in der Folge ohnehin zu größeren gewalttätigen Auseinandersetzungen durch beide Seiten kommen. Liefert Deutschland nicht aus, haben wir eine veritable Krise mit dem EU-Land Spanien an der Backe. Finnland, Schweden und Dänemark wussten genau, was sie taten, als sie Puigdemont NICHT verhafteten, obwohl bereits noch während seines Aufenthaltes in Finnland der neue Haftbefehl bekannt war. Spanischen Medienberichten zufolge beschattete der spanische Geheimdienst Puigdemont auf seiner Heimreise und meldete seine Route den deutschen Behörden.

Es gibt keine Garantie für ein neutrales und faires Verfahren in Spanien, die bisherigen Abläufe lassen eher das Gegenteil vermuten.

 

Carles Puigdemont

Er ist sicherlich (als Politiker) ein sehr extrovertierter Mensch, damit ist er aber in „guter“ Gesellschaft, egal ob Schröder oder Fischer als Vergleich herangezogen wird. Er verstand es, sein Ziel mit den zur Verfügung stehenden rechtsstaatlichen Mitteln gezielt anzugehen. Er hat nie zur Gewalt oder zum Aufstand aufgerufen. Auf dem Höhepunkt der Großdemonstrationen war er durchaus mäßigend. Ihn als „Spinner“, „nationalistischer, ziemlich chauvinistischer und wirrköpfiger Populist“ oder „politischen Geisterfahrer“ zu bezeichnen, geht an der Realität weit vorbei. Seine Politik wird von knapp der Hälfte der katalonischen Wähler*innen auch weiterhin unterstützt. https://de.wikipedia.org/wiki/Carles_Puigdemont

 

Vorbild (?) Kosovo

Hintergrund dieser Krise ist übrigens auch die rechtswidrige Anerkennung des Kosovos durch die deutsche Regierung 2008, politisch eine vergleichbare Lage. Spanien weiß sehr wohl genau, warum sie bis heute den Kosovo nicht anerkannt haben. DAMIT wurde ein Präzedenzfall geschaffen. Zwar wurden die Kosovo-Albaner bis zum Krieg 1999 von Serbien unterdrückt (und setzen sich mit massivem Gegen-Terror der UCK zur Wehr), bei der Unabhängigkeit 2008 galt dies aber nicht mehr. Unter Franko wurden auch die Katalanien massiv unterdrückt, wir sprechen also lediglich von der Dauer des zeitlichen Abstandes von “Ende der Unterdrückung” bis zu “Unabhängigkeit”, einmal 8 Jahre, einmal 43 Jahre.

Karl-W. Koch, 26.3.2018

1 Kommentar

Kommentar verfassen

Artikel kommentieren


* Pflichtfeld

Mit der Nutzung dieses Formulars erklären Sie sich mit der Speicherung und Verarbeitung Ihrer Daten durch diese Website einverstanden. Weiteres entnehmen Sie bitte der Datenschutzerklärung.

Verwandte Artikel