Höchste Zeit für einen Neuanfang!

In Deutschland regiert der Stillstand, das Gestrige feiert sich als Fortschritt und das Neue wird als „Undenkbar“ abgetan. Der Vorteil liegt scheinbar auf der Hand: Die regierende Kaste in allen Parteien behält das Heft in der Hand, bleibt Herr (respektive Frau) der Entscheidung, an ihnen vorbei läuft nichts. Dabei hat das vermeintlich dumme und unfähige Wahlvolk gerade gezeigt, was es davon hält: NICHTS! GroKo? Nein, danke! Jamaika? Scheitert an den Unfähigkeiten der Verhandelnden, auf einander zuzugehen. Kenia? Wozu? Es gibt doch „einfache Lösungen“. Minderheitsregierung? Nö, viel zu anstrengend! Also machen wir lieber weiter wie bisher, und wenn es absolut nicht klappt, dann wählen wir hat nochmal … Vielleicht lernt es das dumme Wahlvolk ja irgendwann mal …?

Bei den anderen Parteien mag das ja wenig wundern, bei den Grünen wundern sich wenigstens noch ein paar. Hatten die nicht mal den Anspruch, alles neu und besser zu machen als die „Alten“? Nun, auch das scheint das Parteiestablishment zu den Akten gelegt zu haben, zum aufgegebenen Pazifismus, zum schnellen und sicheren Atomausstieg, der nicht zu Lasten der Steuerzahler*innen gehen sollte, zum bezahlbaren Sozialstaat, den die finanzieren, die es können und die von ihm auch monetär profitieren. Der Haufen ist gewaltig angewachsen in den letzten Jahren, seit den ersten Sündenfällen Hartz IV, Kosovokrieg und Atomausstieg 2001. Da kommt es nicht mehr drauf an, noch ein paar alte Zöpfe oben drauf zu legen? An Posten kleben? Bewährte Parteisoldat*innen versorgen? Was solls? Machen die anderen doch auch alle!

Bloß keine Experimente“ titelt die Süddeutsche am Samstag (2.12.2017). Wieso erinnert das so fatal an Altbekanntes?

Man könne ja die Spitzenleute nicht abstrafen, die hätten ja „so wacker geschlagen“ in der Jamaika-Sondierung. Haben sie? Entsprechend gefeiert wurden die „wilden 14“ auf dem Parteitag ja wahrlich. Aber noch häufiger als in den vielen Reden fiel in der zugigen Halle der Satz vom „Glück der Grünen, dass die FDP es hatte krachen lassen“. Und der fiel nicht, wie im nächsten Satz fast immer erklärt wurde, weil somit die Schuld am Scheitern nicht mit den Grünen heimgeht, sondern weil die bis dato schon preisgegebenen Verhandlungspositionen die Partei zerrissen und an den Rand des Abgrundes befördert hätten, wären sie denn dem Parteitag zur Abstimmung (oder korrekter: zum Durchwinken) auf den Tisch gelegt worden. Weil … ein Scheitern dieser – von unserem grünen Spitzenpersonal sooo toll geführten – Verhandlungen wäre ja undenkbar gewesen, am grünen Wesen muss der Staat genesen. Was juckt da schon, dass vom grünen Programm, sei es Kohleausstieg, Ende der Verbrennungsmotoren, Atomwaffenabzug, Ausbau der Erneuerbaren Energien, Steuer- und Rentenreform, Bürgerversicherung, Asylrecht und Zuwanderung (die Aufstellung erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit …) nichts, aber auch rein gar nicht außer ein paar [eckigen Klammern] übrig blieb? Und zu denen gab es offenbar die Zusage, auch diese schnellstens in der nächsten Verhandlung rund zu schleifen.

Einverstanden, eine Koalition von zwei (oder hier gar von vier) Parteien ist ein Geben und Nehmen, jeder muss nachgeben und in den eignen Zielen zurückstecken. Wenn dann aber – wie es hier drohte – von der eignen – grünen – Position nichts, aber auch wirklich offenkundig gar nichts Relevantes übrig bleibt, dann ist der Sinn einer Teilnahme an einer solchen Koalition klar erkennbar, es geht um Macht und es geht um Posten. Zugegeben viele Posten, in einer solchen Konstellation sind Hunderte von Stellen zu besetzen …

Die anderen Parteien – überraschende Ausnahme CSU – geht mit dem alten Personal in die nächste Runde und damit mit 50%-Wahrscheinlichkeit in die Neuwahlen. Dazu haben eigentlich höchstens die Wahlgewinner FDP und AfD einen nachvollziehbaren Grund, die CDU/CSU und SPD als krachende Wahlverlierer sicherlich nicht, aber auch die Linke und die Grüne müssen sich als faktische Wahlverlierer fragen, ob dies so sinnvoll ist. Die Grünen insbesondere, hatten sie doch einmal andere Ansprüche, womit sich der Kreis schließt! Was – bitte – soll sich am Wahlergebnis ändern, respektive bessern im Sinn von neuen Regierungsalternativen, wenn der „Wahlkampf reloaded“ mit nur Altbekanntem läuft?

Gerade bei uns Grünen ist dieses schon fast an Merkel erinnernde Durchregieren kritisch zu sehen: Es ist mit grünem Demokratieverständnis nicht in Einklang zu bringen, es macht auch in Hinsicht auf die Erfolgsaussichten bei einer Neuwahl wenig Sinn. Özdemir und Göring-Eckard standen vor der Wahl, nach deren Ausgang und erst recht nach den Sondierungen für das krachend gescheiterte Jamaika-Modell. Alternativen, Stand heute? NULL! Die schönen Leihstimmen seitens der SPD (welche die ohnehin, falls es halbwegs gut für diese läuft, nicht noch einmal abgeben werden) sind in dieser Personalkonstellation nicht nur futsch, sie werden weitere Stimmen aus dem Rot-Grünen Lager mit abziehen.

Aber Lernfähigkeit oder gar Einsicht? Weit gefehlt! Das gipfelt darin, dass von vorgeschobenen (?) Dritten mal so locker nebenbei ein kleiner Änderungsantrag zum Lei(d)t-Antrag eingebracht wird, der die grünen Satzung und das Parteiengesetz in einer Weise überdehnt, wie sich das andere Parteien nach meinen Kenntnisstand in den letzten 40 Jahren nicht geleistet hätten: Die im November fälligen Vorstandswahlen sollen nicht nur – wie schon vorher beschlossen – auf Januar, nein, sie sollen im Fall von drohenden Neuwahlen gleich auf Juni, um ein halbes Jahr verschoben werden. Ohne einen vorliegenden Änderungsantrag wäre sogar – völlig basisdemokratisch – das bereits für die letzte Wahl gewählte Spitzenpersonal (es sei dran erinnert: im Fall des männlichen Spitzenkandidaten mit ca. 27% der Wahlberechtigten und nur mit wenigen Stimmen Vorsprung gewählt!) für die Neuwahl gleich mit durch gewunken worden.

Das niedere Parteivolk darf im Januar – sollte es tatsächlich zu Neuwahlen kommen – unser Spitzenpersonal ein zweites Mal bejubeln und dann hat es brav wieder Wahlkampf zu machen. Es geht ja immerhin um die Rettung des Klimas, eine bessere gerechtere Sozial- und Steuerpolitik, den Abzug der Atomwaffen aus Deutschland, den Schutz von Flüchtlingen und die Stabilisierung Europas. Und das geht nun mal nicht ohne die Grünen! Die Frage, die sich das dumme Wahlvolk aber vermutlich stellen wird, ist die: „Geht es MIT den Grünen“?

Karl-W. Koch

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