Ergebnis der namentlichen Abstimmung hier
Persönliche Erklärung zur namentlichen Abstimmung über den Antrag der Bundesregierung auf Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem Einsatz der Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe in Afghanistan (International Security Assistance Force, ISAF) unter Führung der NATO auf Grundlage der Resolutionen 1386 (2001) und folgender Resolutionen, zuletzt Resolution 1890 (2009) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen (BT-DRS: 17/654)
Persönliche Erklärung der Abgeordneten Hans-Christian Ströbele, Lisa Paus, Memet Kilic, Dr. Harald Terpe, Dorothea Steiner, Sylvia Kotting-Uhl, Winne Hermann
Das neue Mandat für den Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan ist trotz gegenteiliger Ankündigung der Bundesregierung weitgehend das alte, das wir im Dezember 2009 abgelehnt haben, allerdings mit einer Truppenaufstockung von fast 20 Prozent.
Seit mehr als acht Jahren sind die deutschen Soldaten mit diesem Mandat in Afghanistan.
Aber trotz der ständigen Erhöhung der Truppenstärke ist die Sicherheitslage in den letzten Jahren nicht besser, sondern dramatisch schlechter geworden. Die Zahl der deutschen Soldaten mit ISAF-Mandat wurde inzwischen fast verzehnfacht. Trotzdem können die Soldaten etwa das Feldlager Kunduz nicht oder nur in Konvois mit gepanzerten Fahrzeugen verlassen. Ein normaler Kontakt zur Bevölkerung ist kaum möglich.
In keinem Jahr zuvor wurden so viele Menschen in diesem Krieg getötet oder verletzt wie 2009, vor allem immer mehr Zivilisten.
Die Antwort von NATO und Bundesregierung auf die desolate Sicherheitslage ist: mehr Soldaten, mehr Offensiveinsätze, mehr Krieg. Wie nie zuvor seit Kriegsbeginn wird die Gesamtzahl der Soldaten um fast 40 000, und die der deutschen um 850 erhöht. Gleichzeitig beginnt die größte Militäroffensive seit 2001 im Süden des Landes. Der militärische Konflikt wird verschärft, nicht beendet, die Offensivstrategie erweitert, nicht gestoppt und die Anzahl der getöteten Menschen droht weiter anzusteigen. In diesem Jahr wurden schon wieder mehr als 600 Zivilpersonen durch Bombardierungen der NATO getötet.
Ursprünglich sollte das deutsche ISAF-Mandat, anders als das für OEF, auf Eigensicherung und Schutz der Bevölkerung beschränkt sein. Spätestens seit der Bombardierung der Tanklastwagen und Menschenmenge auf deutschen Befehl am 4. 9. 2009 nahe Kunduz wissen wir, dass die Bundeswehr an Offensiveinsätzen und der tödlichen Jagd auf Aufständische beteiligt ist. Sehenden Auges wurden über einhundert Menschen getötet, darunter viele Zivilpersonen und Kinder. Das defensive Mandat gibt es faktisch nicht mehr.
OEF- und ISAF-Mandat sind in der Praxis nicht zu unterscheiden. Derselbe General ist der Kommandeur für beide. Ohne Rücksicht auf das jeweilige Mandat werden die Soldaten eingesetzt, auch die der Bundeswehr. Aber die gezielte Vernichtung von Menschen, selbst dann wenn sie für Aufständische gehalten werden, sieht das ISAF-Mandat nicht vor. Es berechtigt zum Einsatz von militärischer Gewalt nur in Notsituationen zur Nothilfe oder Notwehr.
Die Bundesregierung weigert sich aber bis heute, verbindlich zu erklären, dass sie die Bombardierung vom 4.9. 2009 und überhaupt Einsätze mit dem Ziel der Vernichtung von Menschen ohne Notsituation vom ISAF-Mandat als nicht gedeckt ansieht. Sie stellt gegenüber der Truppe nichts klar. Weitere solche Einsätze will die Bundesregierung also offensichtlich nicht ausschließen.
In der Begründung des Antrages verspricht die Bundesregierung, das zivile Engagement nahezu zu verdoppeln. Sie schließt sich den Plänen der US-Regierung ohne eigenes Friedens- und Ausstiegskonzept an, eine Übergabe der Verantwortung an die afghanische Regierung ab 2011 einzuleiten.
Pläne einer Abzugsstrategie sowie Bekenntnisse zu Versöhnung, Ausstiegsprogrammen und Verhandlungen mit den Aufständischen sind richtig aber unglaubwürdig, weil gleichzeitig die verhängnisvolle Offensivstrategie mit viel mehr Soldaten unversöhnlich fortgesetzt und intensiviert wird. Wie will man die, die man jagt, um sie auszuschalten, davon überzeugen, an den Verhandlungstisch zu kommen. Das passt nicht zusammen. Der Krieg wird verschärft, anstatt ihn zu beenden oder zumindest für einige Zeit auszusetzen, um den Verhandlungen eine Chance zu geben.
Jedes weitere Jahr werden tausende Menschen in diesem Krieg getötet und verletzt. Nach UN-Angaben wurden 2009 über 600 Zivilisten Opfer von NATO-Luftschlägen und mindestens 1.600 wurden durch Aufständische getötet. Das angeblich oberste Ziel der Vermeidung von zivilen Opfern wird immer wieder verfehlt. Seit Beginn der „Operation Mushtarak“ steigt deren Zahl wieder rapide. Neuer Hass wird geschürt und die Gewaltspirale dreht sich weiter.
Gerade auch im Norden, also im Verantwortungsbereich der Bundeswehr, werden US-Kampftruppen in einer Stärke eingesetzt, die erheblich größer ist als die der Bundeswehrsoldaten (ca. 5.000). Mit den zusätzlichen US-Soldaten wird die US-Einsatzstrategie des „Counter Insurgency“ einschließlich gezielter Tötungen in allen Provinzen die militärischen Operationen dominieren. Damit würde auch eine andere „deutsche Strategie“ konterkariert.
Der zivile Aufbau wurde jahrelang vernachlässigt. Trotzdem gibt es Erfolge bei der Strom-, Wasser- und Gesundheitsversorgung, beim Straßenbau, bei der Errichtung von Schulen und anderen Bildungseinrichtungen. Es bleibt aber viel zu tun. Die Zivilgesellschaft muss mehr einbezogen werden, damit die internationale Hilfsgelder bei der Bevölkerung ankommen und Korruption zurückgedrängt wird. Der Aufbau einer zivilen Polizei für Friedenszeiten ist unzureichend. Es fehlt an Ausbildern aus Europa und Deutschland und an einem geeigneten Konzept. Angesichts der Zahl von 70 Prozent Analphabeten bei den Polizeibewerbern reichen acht Wochen Ausbildungszeit nicht aus.
Eine verantwortbare „Exit“-Strategie heißt nicht, Afghanistan im Stich zu lassen. Sicherheit für die Bevölkerung und ziviler Aufbau kann aber nachhaltig nicht erreicht werden mit mehr NATO-Soldaten und einer Strategie zur Vernichtung des Feindes. Bemühungen um ernsthafte Verhandlungen mit Allen unter Einbeziehung sämtlicher Nachbarstaaten sowie um Versöhnung sind der richtige Weg. Die Tür dafür scheint einen Spalt offen. Dieser Weg einer politischen Lösung muss gegangen werden. Alles, was dem im Weg steht und diese Bemühungen konterkariert, muss unterbleiben.
Daher fordern wir den Stopp der offensiven Kampfhandlungen und Bombenangriffe. Das Mandat, das mit mehr Soldaten die Eskalation des Krieges fördert, Verhandlungen erschwert und einer Abzugsperspektive entgegensteht, lehnen wir ab.
Hans-Christian Ströbele
Lisa Paus
Memet Kilic
Dr. Harald Terpe
Dorothea Steiner
Winfried Hermann
Sylvia Kotting-Uhl
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