Brief von Claudia Roth und Winfried Nachtwei zum Abschlussbericht
Beschluss der BDK in Köln, 2006 als PDF-Datei
Kurzfassung
Eine Welt globaler Risiken und veränderter Bedrohungen
Klimawandel, zunehmende Ressourcenkrisen, Konkurrenz um knappe Rohstoffe, Aufrüstung und die Weiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen sind die größten globalen Risiken für Frieden und Sicherheit. Ein ungebremster Klimawandel wird durch Verteilungskonflikte, massenhafte Umweltmigration und Destabilisierung von Staaten zum Sprengsatz für die internationale Ordnung. Anfang des 21. Jahrhunderts sehen sich Schlüsselakteure in Konkurrenz um Zugang zu Energie und Ressourcen sowie um Einfluss in internationalen Organisationen. Andererseits bietet die Globalisierung neue Chancen und Möglichkeiten für die Gestaltung einer gerechten und friedlichen Welt. Allerdings braucht die Globalisierung dafür ökologische und soziale Regeln, denn eine ungeregelte Globalisierung spaltet die Welt in GewinnerInnen und VerliererInnen, in bittere Armut und ungeheueren Reichtum. Diese Risiken und Bedrohungen konfrontieren die Welt mit neuen Sicherheitsproblemen.
Kooperativer Multilateralismus zur Gestaltung der Globalisierung
Es gibt für die globalen Risiken keine nationalen Lösungen. Es gilt mit den neuen weltpolitischen Akteuren eine funktionierende kooperative internationale Ordnung im Rahmen der Vereinten Nationen zu schaffen. Wachstum von Treibhausgasen zu entkoppeln, Ressourceneffizienz und erneuerbare Energien voranzubringen, Globalisierung gerecht und ökologisch zu gestalten, bedarf politischer Regulierung auf regionaler und internationaler Ebene. Wir GRÜNEN stehen für einen kooperativen Multilateralismus – jenseits von nationalen und neoliberalen Scheinlösungen.
Grüne Friedens- und Sicherheitspolitik
Grüne Friedens- und Sicherheitspolitik zielt auf den Schutz der Menschenrechte, auf internationale Gerechtigkeit und Solidarität, Nachhaltigkeit, Gewaltfreiheit und die Stärkung des internationalen Rechts. Es gilt für uns das Primat der zivilen Krisenprävention. Grüne Friedenspolitik zielt auf die Beseitigung der vielfältigen Ursachen von Gewalt, Krisen und Konflikten. Mit dem Ende der Blockkonfrontation und dem Aufflammen neuer Kriege und Bürgerkriege, ethnischer Säuberungen und Massaker gegen die Zivilbevölkerung hat sich die Mehrheit der Partei zu einer Neubewertung des Militärs durchgerungen. Unter bestimmten Rahmenbedingungen kann Militär einen notwendigen Beitrag zur Gewalteindämmung, Gewaltverhütung und Friedenskonsolidierung leisten. Wir erteilen militärischen „Konfliktlösungen“ eine Absage. Der Einsatz von Militär ist immer problematisch. Der Einsatz militärischer Kriegsgewalt ist unabhängig von seinen Zielen ein großes Übel. Zur Friedenssicherung im Rahmen der VN kann Militär zur Gewalteindämmung notwendig sein. Militär kann so bestenfalls Friedensprozesse unterstützen und Zeitfenster für die Krisenbewältigung schaffen, nicht aber den Frieden selbst.
Grüne Politik zielt auf die Stärkung der Vereinten Nationen
Die Stärke der VN liegt in ihrer universalen Legitimation – alle 193 Mitgliedsstaaten nehmen an den politischen Prozessen innerhalb der VN teil. Darin liegt zugleich auch ihre Schwäche, da Entscheidungsprozesse oft mühsam und langwierig sind. Die Strukturen der VN und des Sicherheitsrates verhindern Reformprozesse und blockieren wichtige Entscheidungen. Der Sicherheitsrat spiegelt die Realität des Jahres 1945, aber nicht die Realität von heute wider. Eine Reform ist unerlässlich: Eine gerechtere Zusammensetzung unter Beteiligung Afrikas, Lateinamerikas und Asiens und eine Erhöhung der Effektivität des Gremiums sind notwendig. Die Mitgliedsstaaten müssen die VN institutionell, personell und finanziell stärken. Einrichtungen wie das Department of Peacekeeping Operations oder die Peace Building Commission der VN gehören gestärkt. Wir brauchen eine neue durchsetzungsstarke VN-Umweltorganisation mit universeller Mitgliedschaft und eine Reform des Wirtschafts- und Sozialrats der VN hin zu einem Global Leaders Forum.
Priorität für eine europäische Außen- und Sicherheitspolitik – Wertschätzung transatlantischer Gemeinschaft
Die EU ist der erste postnationale Akteur in der internationalen Politik und als solcher eine strategische Antwort auf die Globalisierung. Für GRÜNE hat die Fortsetzung der europäischen Integration und die Stärkung der außenpolitischen Handlungsfähigkeit auch sicherheitspolitische Priorität. Wir sind deshalb dafür, dass auch in der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik per Mehrheit entschieden und das Europäische Parlament gleichberechtigt beteiligt wird. Bereits jetzt übernimmt die EU mehr und mehr polizeiliche und militärische Missionen unter VN-Mandat. Wir begrüßen diese Entwicklung und befürworten den Ausbau dieser Kapazitäten, sofern sie an eine präventive, auf friedliche Konfliktlösung gerichtete Außenpolitik gebunden bleibt. Die Europäische Union soll keine imperiale Militärmacht werden, sondern Zivilmacht bleiben. Darin vor allem besteht ihr politischer Einfluss und ihre Autorität in der Weltpolitik. Sie muss aber in der Lage sein, Europa zu stabilisieren und ihren Beitrag für UN-Missionen zur Wahrung von Frieden und Sicherheit zu leisten.
Transatlantische Partnerschaft und deutsch-amerikanische Freundschaft sind weitaus mehr als die NATO. Die transatlantische Gemeinschaft gründet sich auf gemeinsame historische Erfahrungen und politische Werte, eine enge wirtschaftliche Verflechtung und auf einen intensiven kulturellen Austausch. Mit dem Ende der bipolaren Weltordnung und dem Aufkommen neuer wirtschaftlicher und politischer Mächte wie China und Indien muss sich auch die transatlantische Allianz neu definieren. Partner müssen lernen, mit Konkurrenzen zu leben. Als Block gegen den Rest der Welt wird das transatlantische Bündnis keinen Bestand haben. Es muss Teil einer kooperativen Weltordnung werden, die auch die neuen aufsteigenden Mächte integriert. Hierzu gehört auch die Frage nach der künftigen Rolle der NATO. Nach dem Ende der Block-Konfrontation muss sie ihre Aufgaben neu ausrichten. Wir lehnen den Ausbau der NATO zu einer Konkurrenzorganisation der Vereinten Nationen ab. Dennoch bleibt sie notwendig, weil es auf absehbare Zeit keinen anderen Akteur gibt, der die gemeinsame Sicherheit Europas garantieren kann und der als Staatenbündnis einer Re-Nationalisierung der Sicherheitspolitik entgegenwirkt. Die NATO muss dabei Teil einer multilateralen Sicherheitsarchitektur werden, die auf dem Prinzip gemeinsamer Sicherheit beruht und militärische Einsätze an ein Mandat des UN-Sicherheitsrats bindet. Mitentscheidend für die Zukunft der NATO wird sein, dass sich die EU und die USA darin auf Augenhöhe begegnen.
Verantwortung zum Schutz von Menschen
Auf dem Millenniumsgipfel der VN Ende 2005 wurde von der Generalversammlung der VN die „Responsibility to Protect“ beschlossen. Wo ein Staat die Schutzverantwortung gegenüber seiner Bevölkerung nicht ausüben kann oder will, ist die internationale Gemeinschaft in der Mitverantwortung, durch die Vereinten Nationen geeignete diplomatische, humanitäre und andere Mittel zu ergreifen, bis hin zu Zwangsmaßnahmen nach Kapitel VII VN-Charta. Wir begrüßen das als einen wichtigen Schritt, um schwerste Menschenrechtsverbrechen künftig zu verhindern. Die Schutzverantwortung gibt aber kein Recht zur humanitären Intervention und keinen Freibrief zum Krieg. Grundsätzlich kann nur der Sicherheitsrat das Mandat für die Durchsetzung der Schutzverantwortung erteilen und das nur strikt begrenzt auf Fälle von Völkermord, Kriegsverbrechen, ethnische „Säuberungen“ und Verbrechen gegen die Menschlichkeit.
Zivile Konfliktbearbeitung als Leitidee grüner Friedenspolitik
Frieden ist nicht ohne Sicherheit möglich, und der entscheidende Beitrag zu umfassender Sicherheit ist ziviler Natur. Zivile Krisenprävention setzt an den Ursachen von Krieg und Gewalt an, anstatt kurzfristig Brände zu löschen, und entspricht daher unserer Verantwortung für den Frieden in der globalisierten Welt. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN setzen sich dafür ein, die zivile Krisenprävention sowohl bei der operativen Krisenprävention zur Deeskalation von Konflikten als auch bei dem längerfristigen Abbau von Konflikt- und Gewaltursachen zu stärken. Mit einem zivilen Entsendegesetz soll der Einsatz ziviler Fachkräfte in Krisenregionen gefördert werden und zur zügigen Konfliktprävention wollen wir einen schnell einsatzfähigen Expertenpool für Polizei, Justiz- und Verwaltungsaufbau bilden.
Für eine andere Bundeswehr – Freiwilligenarmee im Dienste der VN
Die Bundeswehr muss VN-fähiger und europatauglicher werden. Nicht Landesverteidigung, sondern multilaterale Friedenssicherung im Rahmen und Auftrag der Vereinten Nationen ist die aktuelle sicherheitspolitische Herausforderung. Dafür muss die Bundeswehr strukturell aufgestellt und angemessen ausgestattet sein. Wir brauchen eine kleinere und modernere Bundeswehr. Mit einer Freiwilligenarmee von ca. 200.000 Soldaten und Soldatinnen kann Deutschland einen verantwortbaren Beitrag zur nationalen, regionalen und internationalen Sicherheitsvorsorge leisten. Eine Reform der Bundeswehr aus einem Guss gibt es nur mit der Abschaffung der Wehrpflicht.
Langfristige Konfliktprävention
Klimawandel mindern – Ressourcenkrise überwinden – Globalisierung gerecht gestalten
Ein ungebremster Klimawandel würde zu noch größeren Verteilungskonflikten, massenhafter Umweltmigration und Destabilisierung von Staaten oder ganzen Regionen führen. Deshalb ist Klimaschutz auch Friedenspolitik. Die globale Erwärmung auf 2 °C zu begrenzen, ist ökologisch und ökonomisch zwingend. Der ökonomische Aufstieg neuer weltpolitischer AkteurInnen erhöht dramatisch die Nachfrage nach materiellen Ressourcen. Dies kommt zu der immensen Nachfrage der Industrieländer noch hinzu. Noch immer verbrauchen 15 Prozent der Weltbevölkerung 60 Prozent des Rohöls und Erdgases und mehr als die Hälfte anderer beschränkter materieller Ressourcen. Ein Krieg wie der US-Krieg gegen den Irak ist immer auch ein Ressourcenkrieg. Er führt nicht nur zu tausenden Opfern, sondern gefährdet auf Dauer den Weltfrieden und die Energiesicherheit massiv. Die gewaltsame Durchsetzung von Ressourceninteressen ist nicht akzeptabel. Der Zugang zu Ressourcen muss kooperativ gesichert werden. Diese Kooperation ist nur auf der Basis von Gerechtigkeit zu erreichen. Insofern kann ein dauerhafter Frieden im 21. Jahrhundert nur ein gerechter Frieden sein. Der Globalisierung der Profitwirtschaft muss eine Globalisierung der gesellschaftlichen Solidarität entgegengesetzt werden. Denn: wo Hunger und Elend, Staatszerfall und Verwüstung herrschen, kann Frieden nicht dauerhaft bestehen.
Krise der Abrüstungspolitik überwinden – Verbreitung von Massenvernichtungswaffen stoppen
Die Krise der Abrüstung muss überwunden werden. Wir wollen, dass Deutschland und die EU zum Motor und Vorreiter einer globalen Politik der Abrüstung und Rüstungskontrolle werden. Die Bundesregierung muss eine menschenrechtsorientierte, restriktive und friedensethisch verantwortbare Rüstungsexportpolitik überprüfbar umsetzen. Die USA und Russland müssen ihre Potentiale drastisch und überprüfbar reduzieren. Dazu gehört auch der Abzug der in Deutschland und Europa gelagerten US-Atomwaffen. Die Bundesregierung muss die „nukleare Teilhabe“ Deutschlands beenden. Der Atomstreit mit dem Iran zeigt: Wir müssen den Diskurs über die friedens- und sicherheitspolitischen Folgen der Weiterverbreitung und Nutzung der Atomenergie wieder offensiv führen. Der Ausstieg aus der Atomenergie und die Eindämmung von deren Weiterverbreitung ist aktive Friedenspolitik.
Gender in Sicherheitspolitik integrieren
Krieg und Konflikte sind nicht geschlechtsneutral. Frauenrechte und friedliche Entwicklung gehören zusammen, daher setzen wir uns für umfassende Integration der Genderperspektive in Friedens- und Sicherheitspolitik ein. Mit der Verabschiedung der VN-Resolution 1325 im Jahr 2000 ist es gelungen, die unterschiedlichen Rollen von Frauen und Männern in Konflikten zu thematisieren. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN setzen sich für einen Nationalen Aktionsplan mit den Kernpunkten Prävention, Partizipation, Protektion und Sensibilisierung zu ihrer Umsetzung ein.
Grüne Prinzipien für internationales Krisenengagement und Auslandseinsätze
Für internationales Krisenengagement und Auslandseinsätze und eine deutsche Beteiligung daran müssen die folgenden Prinzipien und Kriterien gelten:
- Kriegsverhütung und Friedenssicherung
- Hauptverantwortung der Konfliktparteien und „Do no harm”
- Primat der zivilen Krisenprävention
- Ziele und Interessen offen legen
- Militär nur als Äußerstes Mittel
- Nie ohne VN-Mandat
- Immer Multilateral
- Absolutes Primat der Politik
- Leistbarkeit und Verantwortbarkeit Garantieren
- Parlamentsbeteiligung und Akzeptanz Gewährleisten
Brief von Claudia Roth und Winfried Nachtwei zum Abschlussbericht
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