Offener Brief an Jürgen Trittin, MdB und Co-Vorsitzender der Atomfinanzkommission
sowie zur Kenntnis an
den Bundesvorstand Bündnis 90/Die Grünen
die Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen
Zum Konzept zur Finanzierung des Atomausstiegs, soweit der Öffentlichkeit bekannt, haben die unterzeichnenden Mitglieder und Energieexpert*innen der Grünen an Jürgen Trittin als Ko- Vorsitzenden dieser Kommission den folgenden Brief geschrieben:
Lieber Jürgen ,
Die Medienberichte der letzten Tage zu einem Vorschlag der Atom-Finanzkommission deuten darauf hin, dass das Konzept bisher große Unzulänglichkeiten enthält und vor dem Hintergrund unserer langjährigen atompolitischen Diskussion innerhalb der Grünen inakzeptabel ist. Ohne Zweifel ist es wichtig – und vor allem lange überfällig! – die Rückstellungen für die Entsorgung der nuklearen Abfälle und Rückbau in einen öffentlich-rechtlichen Fonds zu übertragen. Aber es ist grundfalsch und nicht zu rechtfertigen – wie offenbar vorgesehen – gleichzeitig den die Atomkraftwerkbetreibern ihre finanzielle Verantwortung auch nur in Teilen zu erlassen.
Das Verursacherprinzip ist aus Grüner Sicht nicht verhandelbar! Und das erst recht nicht, wenn es um die Beseitigung des hochgefährlichen Strahlenmülls geht. Die Atomkonzerne haben die Rückstellungen über Jahrzehnte quasi als „Kriegskasse“ genutzt, um durch Einkäufe und Firmenübernahmen ihre Machtstellung im Energiesektor zu erweitern. Die dadurch generierten Gewinne sind längst in Form von Dividenden ausgeschüttet und privatisiert worden. Jetzt, wo es um die Folgekosten des Atomeinstiegs geht, soll die Allgemeinheit einspringen.
Mit der jetzt von der Kommission vorgeschlagenen Lösung ist folgendes Szenario wahrscheinlich: 2016 werden EON, RWE, Vattenfall und EnBW als Erpressungspotential die Dividenden kürzen oder ganz streichen. Ist die Vereinbarung mit der Bundesregierung erst mal unter Dach und Fach, werden diese wieder sprudeln. Und Jahrzehnte später – wenn die Kosten für die Entsorgung des Atommülls in Zwischen- und Endlagern in heute unkalkulierbare Höhen gestiegen sind – sind die früheren Atomkonzerne wie schon bei der Asse, bei Morsleben oder WAK Karlsruhe finanziell aus dem Spiel.
Bündnis 90/die Grünen haben viele Jahre darauf gedrängt, dass ein öffentlicher Rückstellungsfond frühzeitig eingerichtet wird, unter anderem deshalb, um das Verursacherprinzip zu sichern. Die volle Finanzierungsverantwortung der Konzerne darf keinesfalls ausgehebelt werden. Verhandelbar mögen die Fristen der Einzahlung in den Fond sein, nicht aber ihr voller Umfang. Der Prozess des Rückbaus der Kraftwerke und der Einrichtung eines Endlagers wird sich über Jahrzehnte hinziehen. In dieser gesamten Zeit müssen die verantwortlichen Konzerne ihre Aufgaben wahrnehmen und dafür finanziell gerade stehen. In den Medien diskutierte Risikoaufschläge von bis 100 % werden den bekannten Kostensteigerungen von Großprojekten jeglicher Art in keiner Weise gerecht.
Eine Übernahme der Ewigkeitskosten der Atomwirtschaft durch den Staat wäre ein Freifahrtschein und damit ein fatales Signal an die Atomkonzerne in aller Welt, weiter auf Atomkraft zu setzen- der Staat wird später schon einspringen.
Uns ist auch nicht nachvollziehbar, warum eine Verlängerung der Kernbrennstoffsteuer kein Thema in der Finanzkommission zu sein scheint. Ein Auslaufen der Kernbrennstoffsteuer 2016 wäre absurd. Zudem darf es für die Rücknahme der Klagen gegen das Moratorium von 2011 keine „Abschläge“ geben. Schließlich haben die Konzerne 2000 einen Konsens unterschrieben, in dem sie erheblich kürzeren Laufzeiten zugestimmt hatten.
Völlig unverständlich ist, warum von der Kommission vorgeschlagen wird, die Zwischenlager in Gorleben und Ahaus sowie an den Standorten der Atomkraftwerke in staatliche Zuständigkeit übergehen zu lassen. Aus gutem Grund hat das Atomgesetz eine vollständige Durchführungs- und Finanzierungsverantwortung der Betreiber für alle Teile des so genannten Brennstoff-„Kreislaufs“ verwirklicht. Lediglich die Realisierung des Endlagers ist wegen ihres „Ewigkeitscharakters“ zu Recht in staatliche Hände gelegt. Warum sollte der Staat Finanz- und Realisierungsverantwortung für die Zwischenlager der Betreiber übernehmen? Kosten und notwendige Nachrüstungen sind angesichts der zeitlich ungeklärten Inbetriebnahme eines Endlagers unkalkulierbar.
Wir bitten dringend darum, die von uns dargelegten Gesichtspunkte in der angestrebten Vereinbarung zu berücksichtigen.
Hartwig Berger, ehemaliger Sprecher der BAG Energie, KV Charlottenburg-Wilmersdorf Tel.:o3o-3131730
Karl-Wilhelm Koch, Koordinator AK Atom und BAG Energie, Tel.: 06592-5759019
Martina Lammers, Koordinatorin des AK Atom, BAG Energie und KV Wendland
Miriam Staudte, MdL in Niedersachsen, Tel. 0171-9528143.
Ralf Henze, BAG Energie, KV Odenwald-Kraichgau
Tobias Balke, BAG Energie, KV Charlottenburg-Wilmersdorf
Philipp Schmagold, KV Kiel
Elke Seidel, BAG Energie, KV Potsdam-Mittelmark
Claudia Laux, KV Bernkastel-Wittlich
Harald Stengl, KV Nürnberg
Christian Meyer, BAG Energie
Christa Stiller-Ludwig , KV Hagen, LAG Energie NRW
Herbert Nebel, KV Charlottenburg-Wilmersdorf
Dirk Helmken, KV Heidelberg
Stefan Wiese, KV Stormarn
Dieter Kaufmann, BAG Energie, KV Frankfurt/M.
Norbert Dick, KV Schleswig-Flensburg
Annemie Dick, KV Schleswig-Flensburg
Manuel Kochinski, KV Berlin-Mitte
Rainer Still, OV Kunow/Krams
Klemens Griesehop, KV Pankow
Jörn Jensen, Bezirksbürgermeister a.D., KV Mitte
Gilbert Sieckmann-Joucken, Fraktionsvorsitzender KV Bad Bramstedt, BAG Energie
Julian Breitschwerdt, KV Karlsruhe-Land
Boris Cotar, Vor,standsmitglied KV Neckar-Odenwald & AtomErbe Obrigheim
Werner Schmidt, Bezirksvorstand B90/Die Grünen Mittelfranken
Peter Borgmann, KV Bochum & Wattenscheid
Harald Stengl
Gisela John, KV Spandau
Ernst John, KV Spandau
Jan Warncke, KV Spandau
Ritva Harju, KV Spandau
Bernd Frieboese, KV Reinickendorf
Alja Epp-Naliwaiko, Vorstand KV Fulda
Rainer Epp, KV Fulda
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