BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Beschluß der 13. Ordentl. Bundesdelegiertenkonferenz
05.-07. März 1999 in Erfurt, Neue Messe  Übersicht

 

Kinder fördern, nicht den Trauschein!
Die Chancen des Karlsruher Urteils zur Besteuerung von Familien nutzen!

Bündnis 90/DIE GRÜNEN wollen Deutschland wieder zu einem kinder- und familienfreundlichen Land machen. CDU/CSU/FDP haben in den vergangenen Jahren dafür gesorgt, daß das Zusammenleben mit Kindern zu materiellen Nachteieln führt und von der Gesellschaft nur unzureichend unterstützt wird. Dazu kommt, daß über 1 Million Kinder von der Sozialhilfe leben müssen.

Familie wird heute in vielfältiger Form gelebt. Familie ist, wo Kinder sind. Für uns haben alle Formen von auf Dauer angelegten Lebensgemeinschaften Anspruch auf Schutz und Rechtssicherheit.

Wir werden dfür sorgen, daß sich die wirtschaftliche und sozieale Lage der Familie spürbar verbessert. Hierfür werden wir durch ein Zusammenspiel von Familienpolitik, Beschäftigungspolitik, Bildungspolitik, Souialpolitik, Steuerpolitik, Wohnungspolitik sowie Frauen- und Jugendpolitik sorgen. Die Famileinpolitik des Bundes-, Landes- und der kommunalen Ebene muß besser verzahnt werden, um die Effizienz der familienpolitischen Maßnahemne zu steigern.

 

Bündnis 90/DIE GRÜNEN begrüßen das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 10. November (verkündet am 19.91.99) aus zwei Gründen:

  • Erstens birgt das Leben mit Kindern in der heutigen Gesellschaft ein wesentliches Armutsrisiko. Eine steuerliche Berücksichtigung allgemeiner Erziehungskosten und die pauschale Anerkennung von Erziehungskosten für alle Eltern mit Kindern stellt ein notwendiges Gegensteuern dar.
  • Zweitens kann das Urteil in Teilen seiner Argumentation als fortschrittliche Wendung in der Familienpolitik gewertet werden. Neu ist zum einen, daß erstmals dem Ehegattensplitting kein familienpolitischer Charakter mehr zugebilligt wird. Dies deutet auf ein vom Trauschein unabhängiges Familienbild der Karlsruher RichterInnen. Auch die breite Auslegung des Begriffs "Existenzminimum" von Kindern, das von der Steuer freizustelllen ist, zeugt von einem progresiven Verständnis. Zu diesem "Minimum" zählt das BverfG nicht nur den "existenziellen Sachbedarf". Vielmehr wird dem "kindbedingten Betreuungsbedarf", der die Entwicklung des Kindes zu einem verantwortlichen Leben in der Gesellschaft befähigen soll, besonders hervorgehoben. Überdies soll es gemäß Karlsruhe unerehblich sein, ob tatsächlich Ausgaben für die Betreuung anfallen, denn es sei Sache der Familie, das eigene Zusammenleben zu regeln.

Bündnis 90/DIE GRÜNEN wollen die schnelle Umsetzung der richterlichen Vorgaben durch ein "Familienentlastungsgesetz". Der Karlsruher Empfehlung, eine klare und übersichtliche Regelung zu wählen, die möglichst alle kinderbezogenen Leistungen sinnvoll miteinander verknüpft, statt diverser Freibeträge oder Zahlungen nebeneinander existieren zu lassen, wollen wir folgen.

Bündnis 90/DIE GRÜNEN präferieren eine direkte Förderung (Erhöhung des Kindergeldes) gegenüber der Förderung durch Freibeträge, da sie BezieherInnen höherer Einkommen stärker und Familien ohne Erwerbseinkommen nicht entlastet. Für Familien mit Kindern, die sozialhilfeberechtigt sind, werden wir uns für eine gleichberechtigte Teilhabe an den Verbesserungen einsetzen.

Bündnis 90/DIE GRÜNEN wollen das Ehegattensplitting, das besonders die Ehepaare begünstigt, die hohe und von einander sehr unterschiedliche Einkommen beziehen durch eine Individual Besteuerung, das Real-Splitting, ersetzen. Dieses Verfahren können derzeit getrennt lebende oder geschiedene Ehepaare nutzen und so jährliche Unterhaltszahlungen von bis zu 27.000 DM steuermindernd geltend machen.

Vorteil dieses Verfahrens, das auch z.B. vom DIW und der Hans-Böckler-Stiftung vorgeschlagen wird, ist eine beachtliche Beschneidung des Steuervorteils durch den Trauschein besonders im gutverdienenden Bereich

Die Mehreinnahmen aus dieser Maßnahme betragen mehrere Milliarden und würden den haushaltspolitischen Druck erheblich, wenn auch nicht vollständig, mindern. Dies wäre ein guter Umbau des Steuersystems in Richtung Kinder- und Eheförderung.

 

Umfassende Familienförderung notwendig: Familienrecht ist mehr als Steuerpolitik!

Zwar ist die angemessene Berücksichtigung der Kindererziehung im Steuerrecht ein wichtiges Thema. Familienpolitik ist jedoch nicht auf Steuerpolitik zu begrenzen. Unser oberstes familienpolitisches Ziel ist die gerechte Verteilung der Familienarbeit zwischen Frauen und Männern und die Vermeidung von Armut in Familien. Bündnis 90/DIE GRÜNEN fordern daher weitere wichtige familienpolitische Maßnahmen:

Verbesserte Vereinbarkeit von Familie und Beruf für Frauen und Männern durch

  • Ein höheres Erziehungsgeld und die Anhebung der Einkommensgrenzen,
  • Erziehungsurlaub als flexibles Zeitkonto in den ersten acht Lebensjahren eines Kindes
  • Elternurlaubsregelungen mit einem Rechtsanspruch auf Teilzeitarbeit und Rückkehr auf den Vollzeitarbeitsplatz,
  • ABM und Weiterbildung müssen mit einem Leben mit Kindern vereinbar sein,
  • die Anhebung von niedrigen Renten bei Teilzeitarbeit

Kinderbetreuung für alle Altersgruppen durch

  • Ausreichende und bedarfsgerechte Betreuungsmöglichkeiten auch für Kinder unter drei und über sechs Jahren. Auch Schulkinder müssen die Möglichkeit haben, außerhalb der Unterrichtszeiten Betreuungsangebote in Anspruch zu nehmen.

Weiterentwicklung des Kinderschaftsrechts durch

  • ein eigenes Umgangsrecht für das Kind nicht nur mit den Eltern sondern auch mit wichtigen Bezuspersonen.
  • die Verankerung der gewaltfreien Erziehung im Bürgerlichen Gesetzbuch.

Neue Akzente in der Bildungspolitik durch

  • eine Strukturreform des BAFöG, die den Zugang zu Schulen und Universitäten für Jugendliche aller Einkommensschichten erleichtert

Bezahlbare Wohnungen für Familien durch

  • eine bedarfsgerechte Anhebung des Wohngeldes für einkommensschwache Familien
  • Verbesserungen im sozialen Wohnungsbau

Vermeidung von Armut in Familien durch

  • eine soziale Grundsicherung. Es geht nicht an, daß bei dramatischer zunehmender Sozialhilfebedürftigkeit von Kindern Verbesserungen an dieser gesellschaftlichen Gruppe vorbeigehen

Wahlfreiheit und Gleichberechtigung

  • Nichteheliche Lebensgemeinschaften haben Anspruch auf Rechtssicherheit und Schutz vor Diskriminierungen
  • Gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften sollen wie in Skandinavien in allen Rechtsbereichen gleiche Rechte und gleiche Pflichten erhalten

Eine Haushaltspolitik, die für

  • eine generationengerechte Nachhaltigkeit sorgt.

Die BDK fordert die Bundestagsfraktion auf, dem Länderrat einen entsprechenden Beschlußvorschlag vorzulegen.