BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Resolution der 1. Ordentliche Bundesdelegiertenkonferenz
23./24. Oktober 1998, Bonn, Beethovenhalle

Die Bundesversammlung von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN begrüßt es nachdrücklich, daß es Rat und Verwaltung von Bonn möglich gemacht hat, die Ausstellung "Vernichtungskrieg – Verbrechen der Wehrmacht von 1941-1944" in Bonn zu zeigen, nachdem der Bundestag diese Entscheidung nicht zustande gebracht hat.

Sie verurteilt mit aller Schärfe die durch den NPD organisierten Aufmarsch gegen die Ausstellung und bedauert die Entscheidung des Kölner Verwaltungsgerichtes, diese Demonstration zur Verbreitung von rechtsextremen Gedankengut gegen das Verbot des Bonner Polizeipräsidenten durchzusetzen.

Solche Demonstrationen sind – das haben Untersuchungen der letzten Jahre leider kontinuierlich belegt – nur die Spitze eines Eisberges einer nicht unbedeutenden Minderheit unter den Deutschen, die nach wie vor ein geschlossenes rechtsnationales Gedankengut pflegen oder zumindest dafür äußerst anfällig sind.

In der deutschen Nachkriegsgeschichte ist die Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Vergangenheit lange verdrängt und unterlassen worden. Das Ausbleiben einer breiten Diskussion über Täterschaft, Mitläufertum und Verstrickung war symptomatisch für die damalige Zeit.

Zu wirklicher Trauer über die Opfer, zu wirklichem Mitleiden waren die Wirtschaftswunderdeutschen nicht in der Lage.

Erst mit dem Frankfurter Auschwitzprozeß kam ein ernstzunehmender Prozeß kollektiver Erinnerung in Gang.

Medienereignisse wie die Holywoodproduktion über den Holocaust, Claude Lanzmanns Film "Shoa" und nicht zuletzt Goldhagens Buch "Hitlers willige Vollstrecker" markierten Phasen einer oft leidenschaftlichen Debatte, lösten Betroffenheit und Interesse am wirklichen Geschehen aus.

Die "Wehrmachtsausstellung" will – wie die Autoren selbst hervorheben – "kein verspätetes und pauschales Urteil über eine ganze Generation ehemaliger Soldaten fällen".

Aber die Wehrmacht war – das belegt die Ausstellung – eine Institution des nationalsozialistischen Staates: Die Spitze der Wehrmacht, Truppenteile und Soldaten waren an den Verbrechen dieses Staates beteiligt.

Eines der letzten Tabus der Deutschen im Umgang mit ihrer jüngsten Vergangenheit ist damit brüchig geworden, der Mythos von der "sauberen Wehrmacht".

Die Ausstellung – das ist wahrscheinlich der entscheidende Punkt – hat das Thema aus dem akademischen Elfenbeinturm mitten in die Gesellschaft, mitten in die Familien hinein geholt. Die fürchterliche Wahrheit, daß die Verbrechen nicht auf irgendwelche Bösewichter am Rande der Gesellschaft geschoben werden kann, macht diese Auseinandersetzung so schmerzhaft und so notwendig.

In Bonn ist es mit einem breiten Veranstaltungsprogramm anläßlich der Ausstellung bisher gelungen, diese Auseinandersetzung mit Sensibilität, Fairneß und Offenheit zu führen. Wir werden uns den Pöbeleien der alten und neuen Nazis entschlossen entgegenstellen und gleichzeitig den begonnenen Weg weitergehen.

Die Diskussion, die die Wehrmachtsausstellung ausgelöst hat, hat gleichzeitig gezeigt, wie notwendig sie ist. Sie hat vielen die Augen geöffnet für rassistische Politik, für totalitäre Systeme und die Folgen von Verharmlosung und Brunnenvergiftung.

Ein Schlußstrich darf nicht gezogen werden.