Beschluß der 8.
Ordentlichen Bundesversammlung 29.11.-1.12.1996 im Congress Centrum Suhl | |
. |
B-V-18 | Gegenstand: Bosnischer und kosova-albanischer Flüchtlinge | |
Die Bundesversammlung stellt fest:
1. Ein Jahr nach Abschluß des Dayton-Abkommens läßt sich feststellen, daß die Situation in Bosnien-Herzegowina immer noch sehr fragil ist und insbesondere der zivile Wiederaufbau nur sehr schleppend vorankommt.
Weiterhin sind erhebliche und langfristig angelegte internationale Anstrengungen nötig, um den labilen Frieden zu stabilisieren, den zivilen Wiederaufbau voranzutreiben und die Entwicklung eines demokratischen, multiethnischen Staates zu unterstützen.
Dabei ist die Rückkehr der Flüchtlinge und der Binnenvertriebenen die entscheidende Schlüsselfrage für eine friedliche, multiethnische Reintegration Bosnien-Herzegowinas. Am Erfolg oder Mißerfolg der Umsetzung des Rückkehrrechts der Flüchtlinge an ihre früheren Heimatorte entscheidet sich nicht nur der Erfolg des Abkommens von Dayton, sondern auch, ob sich am Ende ein einheitliches und multiethnisches Bosnien durchsetzen oder die ethnische Teilung des Landes zementieren wird.
Zu einer friedlichen und multiethnischen Reintegration kann es jedoch nur kommen, wenn an dem in Dayton festgeschriebenen Recht der Flüchtlinge auf freiwillige Rückkehr an ihre Heimatorte festgehalten wird. Nur so gibt es eine Chance für einen selbsttragenden Friedensprozeß. Eine Rückkehr der Flüchtlinge aus Deutschland kann nur schrittweise und in Zusammenhang mit der Wiedereingliederung der ein bis zwei Millionen Binnenvertriebenen sowie im Rahmen umfassender Wiederaufbaumaßnahmen erfolgen.
Die materiellen und politischen Bedingungen für eine massenhafte oder gar zwangsweise Rückführung der bosnischen Flüchtlinge aus Deutschland sind nicht gegeben. Eine Rückkehr in den serbischen Teil Bosniens, aus dem ca. zwei Drittel der hier lebenden Flüchtlinge, zumeist Muslime, stammen, sowie in den kroatischen Teil der Föderation ist derzeit unmöglich. Auch die vom UNHCR als sogenannte sichere Regionen bezeichneten Gebiete der Föderation eignen sich keinesfalls für eine Rückführung von Flüchtlingen. Vielmehr sind laut UNHCR dies Regionen, in denen zunächst nur der Wiederaufbau begonnen werden kann. Vertreter der bosnischen Regierung, der vor Ort anwesenden internationalen Organisationen, insbesondere des UNHCR, der Nichtregierungsorganisationen, der
Diplomatie und des Militärs, warnen einhellig vor einer zwangsweisen Rückführung der bosnischen Flüchtlinge durch die Bundesrepublik Deutschland. Das Konfliktpotential in
Bosnien würde aufgrund der völlig ungelösten Rückkehrerfrage erheblich verschärft werden. Diese Warnungen sind endlich ernst zu nehmen.
2. Die BDK fordert daher die Bundesregierung und die Bundesländer auf,
a) zu den Grundsätzen von Dayton in Bezug auf die Flüchtlingsrückkehr zurückzukehren;
b) den Beschluß der Innenministerkonferenz vom 19.9.1996, der eine Abschiebung von Flüchtlingen nach Bosnien-Herzegowina ab 1.10.1996 ermöglicht, zurückzunehmen oder auszusetzen;
c) den hier lebenden bosnischen Flüchtlingen den Status als Bürgerkriegsflüchtlinge zu gewähren, bis sie freiwillig zurückkehren können;
d) bestimmten Gruppen von Flüchtlingen, denen eine Rückkehr nicht zugemutet werden kann (Folteropfer, Traumatisierte, vergewaltigte Frauen, ehemalige Häftlinge aus Internierungslagern, Zeuginnen und Zeugen des Haager Kriegsverbrechertribunals, Angehörige bi- und multinationaler Familien), ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht zu gewähren und ihre Integration in die deutsche Gesellschaft zu erleichtern;
e) bilaterale Finanzmittel für den zivilen Wiederaufbau in Bosnien-Herze-gowina schnell und unbürokratisch bereit zu stellen sowie entsprechend auf die Mittelvergabepolitik der EU einzuwirken.
Bündnisgrüne werden sich insbesondere im Rahmen ihrer Regierungsbeteiligung in den rot/grünen Landesregierungen für diese Ziele einsetzen.
Die Situation in Kosova ist zwar völlig anders als in Bosnien. Die zwangsweise Rückführung der Flüchtlinge, wie sie die Bundesregierung ab Dezember 1996 vorhat, ist gleichwohl problematisch. Für die Menschen ist sie gefährlich und für den labilen Frieden auch.
Nachwievor ist Kosova eine von Serbien besetzte Provinz im Ausnahmezustand. Die demokratischen Rechte und das Recht auf Selbstbestimmung werden der albanischen Bevölkerungsmehrheit vorenthalten. In den vergangenen Jahren wurden die politischen GegnerInnen verfolgt, verhaftet, vielfach auch geschlagen und gefoltert. Nichtzuletzt deshalb wurden sie vor Jahren in der Bundesrepublik als Asylbewerber anerkannt.
Wir lehnen einen Zwangsweise Rückführung nach Kosova ab. Wir verlangen von der Bundesregierung, daß sie sich für die demokratischen Recht der Kosova-Albaner einsetzt.
Voraussetzung für eine Rückkehr der Flüchtlinge ist eine grundlegende politische, soziale und wirtschaftliche Veränderung der derzeitigen Verhältnisse. Wir fordern die Bundesregierung auf, in diesem Sinne mit der Regierung Jugoslawiens zu verhandeln.
© BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN 1996
Letzte Änderung: 16.12.96